Durch die Chin-Berge zur alten Königsstadt Mrauk OO

Im Sommer 2015 stolperte ich über einen Bericht mit dem Titel „Vom Mt. Victoria nach Mrauk Oo“. „Wow!“, dachte ich und begann zu lesen. Die Einleitung klang vielversprechend – diese Reise würde ich auch gern machen. Der Reiseverlauf war dann aber etwas verwirrend: Warum ging es von den Chin-Bergen erst wieder den ganzen Weg zurück zum Ayeyarwady und dann von dort über die Rakhine-Berge nach Mrauk Oo? Es musste doch auch eine andere Möglichkeit geben. Schon hatte ich den Telefonhörer in der Hand und setzte mich mit Khai in Verbindung, unserem Guide in Mindat, der uns auch schon im April 2012 auf unserer Tour zum Mt. Victoria begleitet hatte.

 

Khai machte uns dann auch gleich mehrere Vorschläge. Da wir diese Tour zusammen mit unseren 3 Töchtern unternehmen wollten, empfahl er uns die leichtere Route über Matupi. Matupi? Auf meiner Karte war diese Stadt noch nicht einmal verzeichnet. In den nächsten Wochen sollte ich aber etwas mehr über diesen Ort erfahren, der sich 102 Kilometer (ca. 7–8 Fahrstunden) nordwestlich von Mindat befindet.

Am 12.04.2016 flogen wir von Yangon nach Bagan, der einst bedeutendsten südostasiatischen Tempel- und Pagodenstadt am Ostufer des Ayeyarwady. Tausende von zerfallenen Pagoden erheben sich hier majestätisch aus der Ebene zu einem zeitlosen Anblick und erinnern an den Ruhm ihrer Vergangenheit. Wir nahmen ein landestypisches Frühstück mit Reis, verschiedenen Currys und unzähligen Beilagen ein – das ist in den letzten Jahren bei uns zur Tradition geworden – und verließen Bagan. Wir überquerten den Ayeyarwady und fuhren durch Pakokku, wo wir eine feierliche und sehr stimmungsvolle Shin-Pyu-Prozession verfolgten. Danach quälten wir uns stundenlang durch die staubige Ebene, bevor die Straße am späten Nachmittag steil die Chin-Berge hinauf nach Mindat führte, einer ehemaligen britischen Bergstation auf 1.481 Metern im südlichen Chin. Dort übernachteten wir im Oasis Resort, das sich gleich am Ortseingang in einem kleinen Kiefernwäldchen befindet. Nach diesem langen Tag genossen wir die Ruhe, den Duft des Kiefernholzes und den Ausblick auf die Berge.

Am nächsten Morgen drang schon früh Vogelgezwitscher an unsere Ohren und riss uns aus dem Schlaf. Nach einem herzhaften Frühstück besuchten wir noch den Markt in Mindat, wo Shwe Yee die Gelegenheit für letzte Einkäufe nutzte, und machten uns dann auf den Weg nach Matupi. Die kurvenreiche Straße, die sich überwiegend in gutem Zustand befand, führte durch den auch unter dem Namen „Nat Ma Taung“ bekannten Nationalpark. Dieser 772 km² große Park erstreckt sich von Mindat bis zu den Städten Kanpetlet und Matupi. Die Fahrt führte uns durch hügelige immergrüne Wälder, feuchte, hochgelegene Laub- und Kiefernwälder sowie durch hügelige Grassteppen. Entlang des Weges bot sich uns immer wieder ein interessanter Ausblick auf zahlreiche Rhododendren mit roten und weißen Blüten. Wir sahen farbenfrohe Vögel und beobachteten eine Wildkatze, die anmutig einen grünen Hügel hinauf sprintete, oben noch einmal kurz innehielt, zu uns zurückschaute und dann vor unseren Blicken entschwand. Wir machten Halt bei einem Schamanen, saßen gemeinsam mit ihm am Feuer und lauschten seinen Erzählungen, bestaunten die verschiedenen Gegenstände und warfen beim Verlassen der Hütte noch einmal einen längeren Blick auf die Tierschädel, die in langen Reihen die ganze Wand von oben bis unten zierten.

Am Nachmittag ließen wir den Mt. Mobi hinter uns, der mit seinen etwa 3.100 Metern der zweithöchste Berg des Chin-Staats ist, überquerten den Fluss Lay Mro und fuhren dann hinauf nach Matupi (1.085 m). Dunkle Wolken hingen zu diesem Zeitpunkt über dem Gebirgskamm und es begann zu regnen.

In Matupi schliefen wir im Grace Guest House, einem zweistöckigen Gebäude direkt an der Straße. Die einfachen Zimmer befanden sich im Obergeschoss, die Gemeinschaftsbäder allerdings im Keller. Ich möchte an dieser Stelle nicht die Räume und die sanitäre Einrichtung beschreiben und nur erwähnen, dass keiner von uns Lust hatte, nachts die Stufen hinunter in den Keller zu gehen. Daher kauften wir uns bei einem späteren Rundgang Nachttöpfe aus Plastik – jeder bekam einen Topf in seiner Lieblingsfarbe.

Ich schlief nicht sehr gut. Das Bett war für meine 185 cm zu kurz, weshalb ich mich nicht ausstrecken konnte und wie ein Fragezeichen auf der dünnen Matratze lag. Da sich das Hotel gleich an der Straße befand, hörte ich zudem in der Nacht jedes vorbeifahrende Fahrzeug.
Was für eine Nacht! Ich war froh, als das erste Tageslicht unser Zimmer erhellte. Wir beeilten uns und versammelten uns schnell vor den Zimmern, jeder mit seinem Nachttopf in der Hand. Was für ein Anblick! Wir schüttelten uns vor Lachen.

Nach dem Frühstück in einem örtlichen Teeladen gleich schräg gegenüber dem Hotel setzten wir uns wieder ins Auto und verließen Matupi in westlicher Richtung. Nach etwa einer Stunde erreichten wir den Ausgangspunkt unserer Trekkingtour durch das Chin-Gebirge bis zum Fluss Lay Mro. An diesem Tag mussten wir etwa 17 km zu Fuß zurücklegen. Wir waren froh, dass wir uns endlich zu Fuß fortbewegen konnten. Beschwingt gingen wir los und folgten einem Schotterweg, der hinab ins Tal nach Amswe Ga und auf der anderen Seite wieder hinauf nach Amswe Ka führte, einem weiteren typischen Chin-Dorf. Nach zwei Stunden Wanderung in der heißen Sonne waren unsere Beine müde und die Wasserflachen leer, weshalb wir uns auf die Mittagspause freuten.

Auf das Mittagessen mussten wir dann fast zwei Stunden warten: Es wurde nicht hier im Dorf frisch zubereitet, sondern in Matupi (die Frau von Khai hatte für uns gekocht), und musste erst mit dem Motorrad geholt werden. Die Frau konnte aber wirklich gut kochen – Suppe, Reis, Hot & Sour Chicken und reichlich Gemüse. Wir langten kräftig zu!
Gegen 15:00 Uhr machten wir uns wieder auf den Weg, folgten der Piste durch dichten Wald und sahen verschiedene Orchideen- und Vogelarten sowie Eichhörnchen. Gegen 17:30 Uhr begann es zu regnen, erst leicht und dann immer heftiger. Zum Glück hatten wir in Matupi Regenponchos gekauft. So stapften wir bei strömendem Regen und zunehmender Dunkelheit weiter und erreichten erst gegen 19:00 Uhr das Dorf Gwe Zar.
Die Einwohner von Gwe Zar hatten bereits um 16:00 Uhr am Dorfeingang auf unsere Ankunft gewartet und hätten dort bestimmt auch weiter ausgeharrt, wenn das Unwetter nicht über sie hereingebrochen wäre.

Nach dem Abendessen gab es zum Anlass unseres Besuches einen Krug „Khaung-yay“ – traditionelles Chin-Bier, das aus Hirse hergestellt wird. Jeder durfte einmal davon probieren und wir plauderten noch lange recht angeregt.

Um 06:00 Uhr war dann eine weitere unruhige Nacht zu Ende. Auf dem Boden zu schlafen ist einfach nichts mehr für meine Knochen. Ich wälzte mich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere, konnte die Schmerzen dadurch aber immer nur für kurze Zeit lindern.
Zum Frühstück gab es Nudelsuppe mit Ei und Linsen, Reis und getrocknetes Fleisch des Mithun oder Mithan – ein eigenartiges Rind, das nur hier in den Chin-Bergen beheimatet ist.

Wir beobachteten noch eine längere Zeit das frühmorgendliche Treiben der Dorfbewohner und machten uns dann wieder auf den Weg. Wir wanderten entspannt durch dichten, üppigen Wald und erreichten nach gut zwei Stunden das in 1.284 Metern Höhe gelegene Dai-Dorf Mardu (1.284 m). Hier aßen wir zu Mittag und machten eine längere Siesta.

Am Nachmittag verließen wir den Schotterweg und folgten nun einem schmalen Fußpfad. Wir ließen das Dorf hinter uns und kamen an Bambusplantagen, Reisfeldern und offenen Feldern vorbei. Am späten Nachmittag erreichten wir das Dorf We Lu, wo wir die folgende Nacht verbrachten. An einem Bach, an dem klares, kühles Wasser aus 3 Leitungen plätscherte, wuschen wir uns den Staub und Schweiß ab. Anschließend saßen wir auf dem Balkon, genossen den herrlichen Ausblick auf die Chin-Berge und plauderten mit unseren Gastgebern.

Nach dem Abendessen wurden wir zum Sportplatz geführt, wo uns zu Ehren traditionelle Tänze aufgeführt wurden. Das ganze Dorf hatte sich dort versammelt. Neugierig wurden wir bestaunt und wir hatten wirklich das Gefühl, die ersten Besucher zu sein, die die Nacht hier verbrachten. Erst zögerlich, dann immer mutiger kamen die Leute auf uns zu, Jung und Alt, und schüttelten unsere Hände. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele Hände geschüttelt.

Unter uns, in der Küche, begann der Tag schon um 04:00 Uhr morgens. Kurz nach 05:00 Uhr standen wir auf, verschlangen unser Frühstück – Suppe und gebratene Nudeln mit Hühnerfleisch – und machten uns wieder auf den Weg. Der Pfad führte bergauf durch dichten Wald, dann durch Strauchland und Bambuswälder, vorbei an frisch abgeernteten Feldern und erneut durch dichten Wald bis nach Htin Khaung (930 m). Dieses wunderschöne Chin-Dorf besteht aus zahlreichen traditionellen Chin-Lagerhäusern, einem malerischen Dorfplatz und einer Kirche. Hier sahen wir auch Chin-Frauen mit den typischen filigranen Gesichtstätowierungen, die beim Volk der Chin einst Tradition waren. Ihr Ursprung geht zurück auf die Überlieferung, dass tätowierte Frauen „zu bizarr“ seien, um von den Königen des Bagan-Reichs entführt zu werden.

Hier verweilten wir etwas länger und machten uns erst gegen 13:00 Uhr wieder auf den Weg. Die ersten zwei Stunden waren hart. Es ging immer bergauf und der Weg war wenig beschattet, sodass die Sonne erbarmungslos auf uns herunter brannte. Dann brach ein Unwetter über uns herein, es regnete in Strömen und ein kalter Wind wehte uns ins Gesicht. Zum Glück war das Unwetter so schnell wieder vorbei wie es angefangen hatte. Gegen 17:00 Uhr erreichten wir Lon Ton, ein kleines Dorf aus wenigen einfachen, kleinen Bambushütten. Die neugierigen Blicke der Bewohner hinter den verschlossenen Fenstern und Türen verfolgten uns. Am anderen Ende des Dorfes, in der Nähe der Kirche, wurden wir dann aber doch noch von einer kleinen Gruppe begrüßt, die uns zum neuen Dorf Lone Ton begleitete, wo wir die Nacht verbrachten.

Das Abendessen war ausgezeichnet. Es gab eine schmackhafte Suppe, Reis, Gemüse, Fisch und Kartoffeln mit Hirschfleisch. Auch hier hatte sich am Abend die ganze Dorfbevölkerung versammelt. Shwe Yee hielt eine kleine Ansprache, bedankte sich für die Gastfreundschaft und anschließend wurde zu traditioneller Musik getanzt und gelacht. Der Zeiger bewegte sich schon auf Mitternacht zu, als wir uns dann endlich schlafen legten.

Nach einem entspannten Morgen verabschiedeten wir uns von unseren Gastgebern und machten uns auf den langen Abstieg zum Fluss Lay Mro. Zuerst wurden wir noch von einigen Familien begleitet, doch als diese ihre Felder erreicht hatten, wo sie den Tag verbringen und die Felder bearbeiten würden, waren wir wieder unter uns. Die Strecke war landschaftlich sehr schön. Leichten Fußes bewegten wir uns bergab durch die Bambuswälder und erreichten gegen 11:00 Uhr den Lay Mro. Von unserem Boot war allerdings weit und breit nichts zu sehen. Daher setzten wir uns unter einen Schatten spendenden Baum und nutzten die Zeit für ein Picknick und ein erfrischendes Bad im klaren Wasser des Lay Mro.

Gegen 12:30 Uhr hörten wir Motorengeräusche, die sich rasch näherten, und schon bald tauchte das Boot auf. Erleichtert packten wir unsere Sachen zusammen, verstauten alles im Boot und waren schon wenige Minuten später bereit für den zweiten Teil unserer Reise.

In den nächsten Stunden fuhren wir flussabwärts auf dem Lay Mro durch das Chin-Gebirge. Dabei bewegten wir uns meist träge fort, sodass wir ausreichend Zeit hatten, um die faszinierende Flusslandschaft zu bestaunen. Immer wieder gelangten wir jedoch auch durch ungestüme Stromschnellen, wo wir die Luft anhielten und unsere Zwei-Mann-Bootsbesatzung bewunderten, die das Boot gekonnt durch die Untiefen steuerte. Dabei hatten die Männer wirklich alle Hände zu tun, da der Wasserstand zum Ende der Trockenzeit im April sehr niedrig war. Sie sprangen immer wieder aus dem Boot, zogen und schoben uns über die seichten Stellen, sprangen wieder ins Boot und setzten schnell und gekonnt die langen Bambusstangen ein, um das Boot zur notwendigen Richtungsänderung zu zwingen, schnell weg von nahenden Felsen und weiter flussabwärts. Eine erstaunlich vielfältige Flora und Fauna zog an uns vorbei und wir konnten Nashornvögel, viele Arten von Eisvögeln, Reiher, Flussuferläufer, Warane und Affen beobachten. Gegen 18:00 Uhr machten wir, ganz erschlagen von den vielen Eindrücken, Halt im traditionellen Dai-Dorf Home.

Am nächsten Tag konnten wir es etwas langsamer angehen lassen, da wir für die Tagesetappe nur ca. 6 Stunden benötigen würden. So bummelten wir nach dem Frühstück durch das Dorf und genossen die frühmorgendlichen Aktivitäten. Wir besuchten auch die Mutter unserer Gastgeber, eine Frau von 58 Jahren, deren Gesicht bis auf die schmalen Lippen vollständig mit blauen Tätowierungen überzogen war, selbst auf den Augenlidern. Das Haar trug sie glatt und streng nach hinten gebunden. Die Ohren waren nicht geschmückt, allerdings ließen die lang gezogenen Ohrlöcher darauf schließen, dass sie früher schweren Ohrschmuck getragen hatte.

Die Zeit verging wie im Flug und erst gegen 09:30 Uhr machten wir uns wieder auf den Weg. Es ging weiter flussabwärts durch die Chin-Berge, die aber nach und nach an Höhe verloren. In den ersten Stunden durchquerten wir erneut Stromschnellen und mussten einmal sogar aussteigen und eine längere Strecke zu Fuß zurücklegen. Gegen 12:00 Uhr entdeckte Shwe Yee am Flussufer eine erhöhte Stelle mit einem riesigen Baum – eine ideale Stelle für ein Picknick. Dort ließen wir uns nieder, schauten verträumt auf den Fluss und Shwe Yee und Hnin Phyu Lay nutzten die Gelegenheit und schwammen im Fluss.

Am Nachmittag wurde der Fluss breiter und ruhiger. Wir besuchten das Dorf Daung und erreichten dann das Gebiet der Lai Tu. Die Lai-Tu-Chins sind Nachfahren tibetisch-burmesischer Völker, die sich entlang des Flussufers des Lay Mro angesiedelt haben. Die Frauen vieler der 53 Chin-Stämme tätowieren ihre Gesichter, die Lai Tu erkennt man jedoch leicht an ihren unverwechselbaren spinnennetzartigen Gesichtsmustern.

Es war schon dunkel, als wir dann endlich in Landau anlegten. Landau ist der Verwaltungssitz der Region Lay Mro und außer einer Schule gibt es hier auch eine Klinik und eine Polizeistation, wo wir uns melden und registrieren lassen mussten.

Die Leute in diesem Ort waren sehr freundlich und hilfsbereit. Sie unternahmen alles, um uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, und tischten uns ein Abendessen auf, bei dem mir heute noch das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn ich daran denke. Es war einfach fantastisch, das beste Essen, das wir auf der ganzen Reise hatten.

Nach einem reichhaltigen Frühstück machten wir einen entspannten Spaziergang durch das Dorf und schauten den Einheimischen bei ihren morgendlichen Aktivitäten zu. Die Zeit verging viel zu schnell und es war schon nach 09:00 Uhr, als wir uns von unseren Gastgebern verabschiedeten und unsere Reise fortsetzten. Nach einer Stunde passierten wir die Grenze zum Rakhine-Staat und der Fluss wurde deutlich breiter und entwickelte sich zu einer großen Wasserstraße. Nach einem einfachen Mittagessen aus gekochtem Reis und getrocknetem Fleisch mussten wir noch ein kleines Unwetter aussitzen, ließen dann die Dörfer Cho May und Sinkay hinter uns und legten am Nachmittag in Mrauk Oo an.

Am späten Nachmittag standen wir im Zentrum von Mrauk Oo auf einer erhöhten Stelle, blickten auf die gewaltigen festungsartigen Tempel und Pagoden und ließen uns vom grandiosen Farbenspiel der untergehenden Sonne verzaubern.

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